Bildung für Geflüchtete: Diskriminierung abbauen, Bildungsangebote ausbauen!

Von: Johannes Gruber

Die nationale Fachtagung zum Thema «Geflüchtete – Bildung, Integration und Emanzipation» stellte fest, dass Geflüchtete im Vergleich zu anderen Menschen in der Schweiz keinen gleichgestellten Zugang zu einer vollwertigen Bildung haben. Gefordert wird, diese Diskriminierung zu beheben und die Bildungsangebote für Geflüchtete massiv auszubauen, insbesondere im nachobligatorischen Bereich.

Am 7. September 2019 trafen sich 200 Fachleute und Engagierte aus dem Bildungs- und Sozialbereich zu einer nationalen Fachtagung in Bern, die die Gewerkschaft VPOD und die nationale Organisation der Asyl-Bewegung Solidarité sans frontières (SOSF) veranstalteten. Katharina Prelicz-Huber, VPOD-Präsidentin und Nationalratskandidatin der Grünen, betonte, dass für alle Menschen in der Schweiz das Recht auf Bildung gewährleistet sein muss. Die Berner Erziehungsdirektorin Christine Häsler bedankte sich bei den Teilnehmenden der Fachtagung für ihr Engagement und ihre kritische Begleitung der politischen Entscheidungen.

Anhand vieler Beispiele wurde aufgezeigt, dass Geflüchtete im Bildungswesen mit Diskriminierung konfrontiert sind. Beispielsweise werden schulpflichtige Kinder von Asylsuchenden in Graubünden über mehrere Jahre in separativen Klassen und nicht zusammen mit anderen Kindern in Regelklassen der Gemeinden unterrichtet. Noch grösser sind in allen Kantonen die Schwierigkeiten im Zugang zur Berufs- und Mittelschulbildung für junge Leute ab dem Alter von 17 Jahren, darunter viele unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA /MNA). Viele können erst nach Wartezeiten staatlich finanzierte Sprachkurse und Brückenangebote besuchen. Oft besteht lediglich ein Flickwerk von kürzeren und schlecht verbundenen Programmen, die nur über viele Umwege und oft gar nicht in eine reguläre Berufs- oder Mittelschulbildung führen. Auch die neue, mit vielen Erwartungen lancierte «Integrationsagenda» des Bundes und der Kantone führt in ihrer Umsetzung bisher nicht dazu, dass alle (!) jungen Geflüchteten mit vollwertiger Bildung versorgt werden. Jugendliche mit N-Status und Sans-Papiers bleiben weitgehend von systematischer nachobligatorischer Bildung ausgeschlossen.

An der Tagung wurde einhellig betont, dass für alle Menschen Gleichstellung im Zugang zu Bildung geboten ist – unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status. Dies ist in der Bundesverfassung und in den internationalen Konventionen (UNO-Kinderrechtskonvention, Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) festgehalten. Eine gute Bildung für Geflüchtete dient nicht nur den betroffenen Menschen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten, sondern auch der Gesellschaft und der Wirtschaft: Sei es in der Schweiz oder sei es in Herkunfts- oder anderen Ländern, in denen sich Migrantinnen und Migranten bewegen.

Die Teilnehmenden der Tagung diskutierten notwendige Forderungen an die Politik. Diese betreffen den Abbau aller Diskriminierung, wo solche heute besteht, und sie betreffen konkrete Verbesserungen wie

- eine rasche Einschulung aller schulpflichtigen Kinder in die Regelschule, unterstützt durch zusätzliche Lehrpersonen;

- einen massiven Ausbau der Sprachförderung und der Brückenangebote (Berufsvorbereitung und Vorlehren) im nachobligatorischen Bereich;

- stärkere finanzielle Investitionen in die «Integrationsagenda» durch die Kantone (nachdem der Bund seine Beiträge verdreifacht hat);

- Zugang zu allen Bildungsangeboten auch für junge Menschen mit N-Status und für Sans-Papiers;

- eine Regularisierung des Aufenthalts und damit sichere Zukunftsperspektiven für Kinder und Jugendliche, die sich schon länger als zwei Jahre in der Schweiz aufhalten;

- die Zuteilung der Verantwortung für die gesamte Bildung, auch für Geflüchtete, an das Bildungswesen (und nicht an das Integrationswesen);

- sichere Arbeitsbedingungen sowie das Sichern und Weiterentwickeln des Fachwissens für Fachpersonen, die in der Bildung und Betreuung von Geflüchteten arbeiten.

Die Situationsanalyse und die Forderungen liegen in elf Thesen vor. Diese werden aufgrund der Diskussion an der Tagung bereinigt und werden dann die Grundlage für eine Kampagne bilden, die sich an den Bund und die Kantone richten wird.