Gefährliche Ausnahmeregelungen

Von: Beatriz Rosende, Zentralsekreträrin

Aufgrund des Personalmangels vervielfachten die Behörden die Ausnahmeregelungen, mit folgendem Ziel: man will Mitarbeiter arbeiten lassen, die in Quarantäne sind, oder sogar solche, die positiv auf Coronavirus getestet wurden. Das sind riskante Praktiken, die einer rechtlichen Grundlage entbehren.

© Eric Roset

Seit dem Anfang der Pandemie ist das Personal Ausnahmeregelungen unterstellt, um den Gesundheitsnotstand, aber auch den strukturellen Mangel an geschultem Personal zu bewältigen. Jahrelange Sparmassnahmen haben die "leeren" Betten und das dazugehörige Personal stückchenweise abgebaut. Im Wissen, dass die Spitäler relativ rasch überlastet sein könnten, haben die Behörden im März 2020 das Arbeitsgesetz ausser Kraft gesetzt.

«Soziale Quarantäne»
Nach der ersten Welle war ein Teil des Personals erschöpft oder krank oder wollte sogar die Kündigung einreichen. Ab Sommer wurde eine neue Ausnahmeregelung eingeführt: die «soziale Quarantäne», die konkret Folgendes bedeutet: Personal, das sich in Quarantäne befindet, kann zur Arbeit gerufen werden. Swissnoso, die «Vereinigung von führenden Fachleuten auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten und der Spitalhygiene», hat sogar grünes Licht der Beschäftigung von Mitarbeitenden gegeben, die positiv auf Covid-19 getestet wurden.

Ein Gesundheitsrisiko
Die Beschäftigung von sich in Quarantäne befindenden Arbeitnehmenden ist jedoch ein Verstoss gegen die Bundesverordnungen. Ausserdem stellt sie ein Gesundheitsrisiko dar, da sie zur Ausbreitung der Epidemie beitragen kann. Im Gesundheitsbereich bedeutet eine solche Praktik die Gefährdung der ArbeitskollegInnen, der Kranken und der BewohnerInnen der Alters- und Pflegeheime.

Anfang November wurden die entsprechenden Anweisungen leicht überarbeitet. In einer gemeinsamen Stellungnahme empfehlen die Westschweizer KantonsärztInnen eine fünftägige vorherige Isolation und eine Beschäftigung von Personal mit einem positiven Testergebnis nur auf freiwilliger Basis.

Zum Thema der «soziale Quarantäne» haben wir Jean-Christophe Schwaab, Dr. iur und Spezialist für Arbeitsrecht, befragt.

Kann ein Arbeitgeber von einer oder einem Angestellten die Nichteinhaltung einer durch den Kantonsarzt verfügten Quarantäne verlangen?
Jean-Christophe Schwaab – Nein. Eine vom Kantonsarzt verfügte Quarantäne ist eine behördliche Anordnung, die von den betroffenen Personen und von Dritten zwingend eingehalten werden muss. Sie gibt Anrecht auf bezahlten Urlaub, denn die sich in Quarantäne befindende Person ist arbeitsunfähig – auch wenn es sich am Ende herausstellt, dass sie nicht infiziert war. Der Bundesrat hat bestätigt, dass ein Arbeitgeber, der trotz allem auf die Wiederaufnahme der Arbeit durch eine Angestellte oder einen Angestellten besteht, mit einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Franken belegt werden kann und bei den Behörden angezeigt werden muss. Dabei ist es wichtig, alle Drohungen des Arbeitgebers genau zu dokumentieren, auch wenn sie verschleiert sind.

Welches Risiko besteht für das Personal, wenn es einer solchen Aufforderung nachkommt oder sie ablehnt?
Falls eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter einer solchen Aufforderung folgeleistet, so kann sie/er leider wegen Nichteinhaltung der Quarantäne sanktioniert werden. Gegebenenfalls kann die betroffene Person eine Notlage oder mildernde Umstände geltend machen, falls sie eine begründete Furcht hatte, dass sie bei Nichtbefolgen der Aufforderung ihre Arbeitsstelle verlieren würde, vor allem, wenn sie in einem Sektor arbeitet, der von der Wirtschaftskrise stark betroffen ist, oder wenn sie es sich aus persönlichen Gründen nicht leisten kann, ihre Stelle zu verlieren. Falls die Strafverfolgungsbehörden das Vorhandensein einer Notlage anerkennen, werden sie auf eine Strafe verzichten oder diese mildern.

Falls die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter der Aufforderung des Arbeitgebers nicht folgeleistet und die Arbeitsstelle verliert, dann ist die Entlassung eine missbräuchliche Kündigung. Wenn der Arbeitsvertrag jedoch privatrechtlich geregelt ist, dann berechtigt eine missbräuchliche Kündigung nur zu einer Entschädigung und wird grundsätzlich nicht rückgängig gemacht. Wenn es sich um einen öffentlich-rechtlichen Arbeitsvertrag handelt, ist eine Aufhebung unter bestimmten Bedingungen möglich.

Kann eine kantonale Behörde (z. Bsp. der Kantonsarzt) die Quarantäneanordnung wegen Personalmangels aufheben?
Meiner Ansicht nach erlauben die heutigen rechtlichen Grundlagen einen solchen Entscheid nicht, ausser im Fall einer Quarantäneanordnung verbunden mit Grenzübergängen. Die anderen Quarantäne-Regelungen erlauben, meiner Meinung nach, keine Anordnung von «sozialen Quarantänen» (die betroffene Person muss zur Arbeit gehen, jedoch auf jeglichen anderen sozialen Kontakt verzichten). Leider praktizieren dies viele Kantone, wahrscheinlich ohne sich viele Fragen dazu gestellt zu haben. Die Betroffenen Mitarbeitenden können allerdings bei ihrem Arzt beantragen, dass er sie für arbeitsunfähig erklärt, falls eine solche Massnahme angemessen ist.

Ratschläge für unsere Mitglieder
Wenn dein Arbeitgeber von dir verlangt, die Quarantäne nicht einzuhalten oder zur Arbeit zu gehen, während du auf die Ergebnisse des Covid-19-Tests wartest, oder du sogar mit einem positiven Testergebnis weiter arbeiten sollst, dann wenden dich an dein regionales VPOD‑Sekretariat und lasse dich beraten!

Die Impfkampagne beginnt langsam. Wann ist das exponierte Personal an der Reihe?
In der Schweiz kann der Bundesrat gemäss Epidemiegesetz (EpG) ein Impfobligatorium für die Bevölkerung oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen (z. Bsp. das Gesundheitspersonal) beschliessen. Art. 6 Abs. 2 Bst. d des EpG sieht vor, dass der Bundesrat «Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären kann».

Zum jetzigen Zeitpunkt hat noch niemand offiziell Stellung bezogen, um vom Bundesrat zu verlangen, dass er dieses Obligatorium erlässt. Die Arbeitgeber können demnach das Personal nicht zwingen, sich impfen zu lassen.

Um ein solches Impfobligatorium zu erlassen, sollten ausserdem ausreichende Dosen zur Verfügung stehen. Es besteht aber immer noch ein Mangel an Impfstoffen.

In der Schweiz, wie anderswo, möchten die Behörden die Impfungen beschleunigen. Es ist jedoch nicht ein allfälliges Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Impfstoff, der diesen Prozess verlangsamt, sondern der Mangel an Impfdosen, sowie die administrative und logistische Unvorbereitetheit der Kantone.

Impfen ist in der Tat eine kantonale Angelegenheit. Die offizielle Webseite des Kantons Waadt teilt zum Beispiel mit, dass nicht genügend Impfdosen für die prioritäre Gruppe, d. h. die besonders gefährdeten Personen zur Verfügung stehen. Die Mitglieder des Gesundheitspersonals – die nicht zu den besonders gefährdeten Personen zählen – sind der Gruppe 2 zugeteilt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht bekannt, wann diese Gruppe Zugang zur Impfung haben wird. Es könnte noch lange dauern. In der Zwischenzeit bleibt das Gesundheitspersonal einer viralen Belastung ausgesetzt, deren Folgen langfristig erheblich sein könnten

Auf internationaler Ebene ist das Projekt, einen Impfstoff zu entwickeln, der als Allgemeingut konzipiert und für alle, auch in armen Ländern, zugänglich sein sollte, schnell gescheitert. Während die reichen Länder die ersten Impfdosen bestellt haben und so schnell wie möglich ihre Bevölkerung impfen, warten andere Länder auf billigere Impfstoffe. Gleichzeitig wir ein Handel mit Impfstoffen aufgebaut, um die Reichen, die Mächtigen und sogar die jungen und gesunden Elitesportler zu impfen...