Partizipation statt Prekarisierung!

Von: Johannes Gruber

Wie kann die wirtschaftliche, soziale und politische Teilhabe von Migrant*innen verbessert werden.

Nina Vladović wurde als Präsidentin der Verbandskommission Migration wiedergewählt. Michela Bovolenta

Am Samstag, den 10. September 2022 diskutierten an der Migrationskonferenz in Biel Delegierte aus der ganzen Schweiz, welchen spezifischen Formen von Prekarisierung Migrant*innen in der Schweiz ausgesetzt sind und was die Gewerkschaft dagegen tun kann.

Gewerkschaft für alle Erwerbstätigen

VPOD-Präsidentin und Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber bekräftigte in ihrem Grusswort, dass der VPOD auch eine Gewerkschaft für Migrantinnen ist. Gerade in den Bereichen Gesundheit, Betreuung, Reinigung, Abfuhrwesen haben wir viele Mitglieder. Für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit einzutreten, ist eine gewerkschaftliche Selbstverständlichkeit. Denn Lohn- und Sozialdumping gefährden die Löhne und Arbeitsbedingungen von allen. Sozialen Fortschritt kann es nur gemeinsam geben.

Ärmer und kränker

Oana Ciobanu von der Haute école de travail social et de la santé Lausanne gab einen sozial-strukturellen Überblick über die ungleiche Verteilung von Erwerbseinkommen unter Zugewanderten und Einheimischen in der Schweiz. Menschen mit Migrationshintergrund ausserhalb der EU sind hier besonders benachteiligt. Dies bleibt nicht ohne Folgen, so gaben in einer Studie knapp drei Viertel der befragten Schweizer*innen über 65 Jahre an, gesund zu sein, bei der gleichen Altersgruppe mit Migrationshintergrund machte diese Angabe hingegen weniger als die Hälfte.

Sozialhilfe gefährdet Aufenthaltsstatus

Erika Schilling von der Zürcher Rechtsberatungsstelle MirSAH erläuterte die spezifischen Gefährdungen, denen Migrant*innen bei Sozialhilfebezug ausgesetzt sind. Mit den Revisionen des Ausländer- und Integrationsgesetzes seit 2019 gefährdet ein Bezug von Sozialhilfe auch das Aufenthaltsrecht von Menschen, die bereits seit mehr als 15 Jahren in der Schweiz leben und arbeiten.

Es braucht ein Umdenken

In zwei Resolutionen nahm die Migrationskonferenz Stellung. Der geplante Rentenabbau AHV 21, über den am 25. September abgestimmt wird, wurde scharf verurteilt: Dieser schadet vor allem denjenigen, die bereits jetzt in prekären Verhältnissen leben und arbeiten. Viele von ihnen sind Migrantinnen, die gesellschaftlich besonders wertvolle Arbeiten verrichten.

Es ist eine Schande, dass die Schweizer Politik während den letzten Jahren nichts hinzugelernt zu haben scheint. In der Corona-Pandemie waren es gerade viele Migrant*innen, die das Gesundheitswesen wie andere Bereiche des Service Public aufrechterhalten haben. Jetzt, nach der Pandemie, leidet die Schweiz in vielen Branchen unter Fachkräftemangel: Im verarbeitenden Gewerbe, in Wissenschaft und Technik, Gesundheit, Bildung, Gross- und Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie, Baugewerbe, Informatik und Digitalisierung

Während Migrant*innen aus Nicht-EU-Ländern ohnehin kaum eine Chance auf Zuwanderung haben, vielen Geflüchteten Asyl verwehrt wird, mehr als 90000 Sans-Papiers im Verborgenen leben und arbeiten müssen, prekarisiert die Schweizer Politik weiterhin auch Menschen, die seit vielen Jahren regulär in der der Schweiz leben und arbeiten.

Zum Schaden von Wirtschaft und Gesellschaft scheint die Leitlinie der offiziellen Migrationspolitik zu sein, die politische, arbeitsmarktliche, soziale und kulturelle Partizipation von Migrant*innen immer weiter zu erschweren.

Hier braucht es dringend ein Umdenken.

- Damit die Menschen wirklich teilhaben können, brauchen sie Aufenthaltssicherheit, die den sanktionsfreien Zugang zum System sozialer Sicherung mit einschliesst.

- Projekte wie die City Card in der Stadt Zürich sind wichtige erste Schritte. Wir fordern jedoch die kollektive Regularisierung von allen Sans-Papiers in der Schweiz, eine grosszügige Aufnahmepolitik gegenüber allen Menschen in existenzieller Not sowie ihren diskriminierungsfreien Zugang zu Bildungssystem und Arbeitsmarkt.

- Für die Erlangung politischer Rechte braucht es niederschwellige Möglichkeiten zur Einbürgerung. Deshalb soll sich der VPOD aktiv an Aktion und Initiative «Vierviertel» beteiligen.

- In Branchen mit Fachkräftemangel braucht es zudem flexible Lösungen für die Zuwanderung in die Schweiz.

Aktionstag für Teilhabe 2023

Für 2023 beschloss die Migrationskonferenz einen nationalen Aktionstag für die Teilhabe wirklich aller Menschen in der Schweiz. Hierfür wird die Zusammenarbeit mit den Kampagnen «Armut ist kein Verbrechen!» und «Aktion Vierviertel» sowie weiteren Partern*innen gesucht.

Heraus auf die Strassen für das Recht auf gesellschaftliche, arbeitsmarktliche und politische Partizipation aller!


Galerie: Partizipation statt Prekarisierung!

Impressionen von der Verbandskonferenz Migration, 10.09.22 in Biel