Redebeitrag von Natascha Wey, Generalsekretärin VPOD, an der heutigen Lohn-Medienkonferenz
Die Löhne im Service public sind von der negativen Reallohnentwicklung nicht ausgenommen; im Gegenteil, es besteht ein erheblicher Nachholbedarf.
Viele Kantone und der Bund sind mit dem Teuerungsausgleich im Rückstand. Die Reallöhne im öffentlichen Sektor sind in den letzten Jahren teilweise stärker gesunken als im privaten Sektor. Ein Beispiel: Gemäss einer Auswertung des Statistischen Amts des Kantons Waadt blieben im Kanton Waadt die Löhne im privaten Sektor im Zeitraum von 2020 bis 2022 stabil, während die Reallöhne im öffentlichen Sektor im gleichen Zeitraum um 4.3% gesunken sind (Numerus 04-2024, Statistique Vaud). Besonders betroffen ist auch das Gesundheits- und Sozialwesen, wo die Reallöhne im Jahr 2023 erneut um 2% gesunken sind (1.9% im 2022) (Lohnindex, Entwicklung nach Wirtschaftszweig, BFS).
Viele unserer Mitglieder und Kolleg:innen im Organisationsbereich des VPOD erlitten im Jahr 2023 einen wiederholten Reallohnverlust.
Diese Ergebnisse sind umso stossender, als die Kantone im Jahr 2023 in ihren Erfolgsrechnungen einen kumulierten Überschuss von 2.2 Milliarden Franken ausweisen, bei einem zuvor budgetierten Defizit von 1.6 Milliarden Franken (Reto Wyss, SGB). Begründet wird diese Diskrepanz vor allem mit «unerwartet» hohen Einnahmen, auf der Ausgabenseite werden aber oft auch tiefere Personalausgaben als Grund genannt. Angesichts der Tatsache, dass die für das vergangene Jahr budgetierten Lohnanpassungen in fast allen Kantonen weit hinter der Teuerung zurückblieben, ist es unverständlich und inakzeptabel, diese Mittel nicht voll auszuschöpfen. Wir haben noch nie so eine Sturheit und Radikalität der Arbeitgeber im öffentlichen Dienst erfahren. Ein Blick über die Grenze zeigt, es ginge auch anders. In Deutschland steigen die Reallöhne seit Mitte 2023, in der öffentlichen Verwaltung sowie im Bildungsbereich dieses Jahr sogar überdurchschnittlich stark (DESTATIS).
Für die Schweiz ist klar: Es liegt nicht an fehlenden finanziellen Mitteln, sondern am fehlenden Willen der Arbeitgeber!
Ich gebe ihnen drei konkrete Beispiele.
Eine Sozialarbeiterin im Kanton Bern
Der Regierungsrat des Kantons Bern erwartet 2025 eigentlich einen Ertragsüberschuss von 246 Millionen Franken und plant Steuerrabatte, von denen vor allem die sehr gut Verdienenden profitieren würden. Aber beim Personal (Verwaltung, Lehrpersonen und subventionierte Betriebe) soll die Teuerung nicht vollständig ausgeglichen werden. Damit wächst der Teuerungsrückstand weiter auf 2.7% an. Reden wir von individuellen Lohnmassnahmen wird den Angestellten zum Beispiel in subventionierten Betrieben wie Altersheimen, Spitex und sozialen Institutionen lediglich 0.7 Lohnprozente zur Verfügung gestellt. Eine Berner Sozialarbeiterin sagt: «Die Lohnerhöhung im vergangenen Jahr hat nur gerade einen Bruchteil meiner zunehmenden Fixkosten gedeckt. Meine Miete ist gestiegen, meine KK, ÖV, Benzin, Lebensmittelkosten, etc. haben ebenfalls zugenommen. Meine Lohnerhöhung betrug CHF 70.» (Zitat aus Mitglieder-Umfrage «Rechnest du noch oder kriselt es schon?»)
Einen Angestellten des Bodenpersonals bei Swissport
Kolleg:innen vom Bodenpersonal sortieren das Gepäck der Flugreisenden zu Einstiegslöhnen von CHF 4100. Ein Knochenjob, im Sommer bei sengender Hitze, im Winter bei eisigen Temperaturen. Ohne ihre Arbeit, würde am Flughafen wenig gehen. Der Gesamtarbeitsvertrag sieht vor, dass die Mitarbeitenden 80% der Teuerung automatisch ausgeglichen erhalten, darüber hinaus wird in Lohngesprächen verhandelt. Die Gesprächsbereitschaft bei Swissport ist da leider sehr begrenzt. Trotz gutem Ergebnis im Geschäftsjahr 2023 und einem Flugbetrieb auf Niveau vor der Pandemie. Für die Mitarbeitenden ist das ein Hohn. Sie haben in der Pandemie via Krisen GAV starke Einbussen erlitten, haben zum Beispiel auf Frühpensionierungslösungen verzichtet, arbeiten hart, verdienen wenig und leiden unter real steigenden Lebenserhaltungskosten im Raum Zürich: Mieten, Krankenkassenprämien und Lebensmittelpreise. Arbeitgeber, die diesen starken Effekt steigender Preise nicht anerkennen, verschulden die Krise ihrer Angestellten. Der VPOD hat das Lohnergebnis 2023 gemeinsam mit dem SEV vor das Schiedsgericht gezogen. Und für 2024 haben die Arbeitgeber eine neue Chance zu zeigen, dass sie ihr Personal wertschätzen und faire Löhne zahlen.
Eine Fachangestellte Gesundheit (FaGe) in Genf
Die Fachangestellten Gesundheit – eine Ausbildung auf EFZ-Niveau – kämpfen in allen Regionen der Schweiz um eine Verbesserung ihrer Löhne, die seit der Einführung dieses neuen Berufs historisch gesehen zu niedrig sind. Nachtschichten, Wochenendarbeit, unterbrochene Arbeitszeiten, stark abhängige Patienten, die bewegt, geduscht und gepflegt werden müssen, und das alles zu Löhnen, die weit unter dem Medianlohn in der ganzen Schweiz liegen. In Genf mussten die FAGEs zwei Tage streiken, um eine zusätzliche Lohnklasse zu «erkämpfen». Für einige Kolleg:innen bedeutete diese Klasse 20 mickrige Franken mehr pro Monat. Das ist unanständig. Diese Kolleg:innen sind nun gezwungen, Klagen vor Gericht einzureichen, um eine Lohnanerkennung zu erhalten, die es ihnen ermöglicht, ein Einkommen zu erzielen, das zum Leben reicht. Wir wissen, dass überall ein akuter Mangel an FAGEs vorausgesagt wird. Zu niedrige Löhne für ultraanspruchsvolle Arbeitsbedingungen! Der Teuerungsausgleich der Löhne von diesen Arbeitnehmer:innen ist eine Mindestvoraussetzung, um die Pflege für die gesamte Bevölkerung, insbesondere für ältere und pflegebedürftige Menschen, zu gewährleisten.
Sie sehen: Die hohen Preisentwicklungen sind eine enorme Belastung für die Arbeitnehmer:innen, auch im Service public.
Das zeigt auch ein erster Blick in unsere Mitglieder-Umfrage (Rechnest du noch oder kriselt es schon?) zu sinkenden Reallöhnen im Service public und steigenden Lebenshaltungskosten, die noch bis Ende September läuft. Schon jetzt geben eine grosse Mehrheit der Angestellten an, dass die Preissteigerungen sie stark oder sehr stark belasten. Und dass sie bereits Anpassungen an der Lebenshaltung Dazu gehören: «Kein Zahnarzt mehr», «Keine Ausflüge mit den Kindern», «Einkaufen im Discounter», «Keine Ferien oder nur noch zuhause», «Steuerrechnungen nur noch in Raten», «Wohnungswechsel». Wir reden hier nicht nur vom klassischen Niedriglohnsektor, sondern von Kolleg;innen aus dem Sozialbereich, Nahverkehr oder Gesundheitswesen. Kolleg:innen mit soliden Ausbildungen und «guten» Anstellungen.
Ein Aargauer Pflegefachmann gibt in unserer Umfrage an: «Ich habe 2 Jobs begonnen, damit ich mit meiner Familie durchkomme.»
Diese Krise der Angestellten ist mehr als bedenklich. Und sie ist verschuldet von den Arbeitgebern. Die Kassen der Kantone sind prall gefüllt. Und trotzdem fliesst das Geld nicht zu den Angestellten. Wenn Arbeitgeber:innen nun über «Fachkräftemangel» klagen, ist fragen wir uns, was sie eigentlich wirklich tun, um diesen «Mangel» zu beheben. Höhere Löhne zahlen anscheinend nicht. Arbeitsbedingungen verbessern, nur ungern. «Mehr Weiterbildungstage», «Vergünstigungen», «gutes Betriebsklima» sind nett gemeint, hilft den Kolleg:innen jedoch nicht, ihr Leben zu bestreiten und die Mehrkosten zu stemmen. Es braucht schlicht mehr Geld im Portemonnaie.
Arbeitgeber sollten hier bald zur Besinnung kommen und gegenüber ihren Angestellten und auch der Gesellschaft verantwortlich handeln. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, denn für die Sozialpartnerschaft gilt das gleiche wie für jede andere Beziehung: Wenn ein Partner sich keine Mühe mehr gibt, wird der andere irgendwann die Scheidung einreichen.