Bern Nahverkehr: Untergrabene Sozialpartnerschaft

Von: Micha Amstad

Die Lohnabhängigen leiden unter dem Kaufkraftverlust. Entsprechend intensiv waren die Lohnverhandlungen für 2023 auch im Nahverkehr. Besonders im Kanton Bern: Dieser macht den Verkehrsbetrieben inakzeptable Vorgaben bezüglich Teuerungsausgleich.

2022 war für die Angestellten des Nahverkehrs, wie für fast alle Lohnabhängigen,ein herausforderndes Jahr. Der erhebliche Kaufkraftverlust liess das Geld immer knapper werden. Grösser hingegen wurden die Unsicherheiten. Dazu beigetragen haben mehrere Faktoren. Haupttreiberin ist die Teuerung. Der Landesindex der Konsumentenpreise wies am Ende eine Jahresteuerung von 2,8 Prozent aus. Für die Abschätzung, wie viel weniger man von seinem Geld kaufen kann, sind weitere Faktoren zu berücksichtigen. So haben wir mit einer Prämienexplosion bei den Krankenkassen zu kämpfen, mit stark steigenden Mieten, mit teurerer Energie.

Empörende Ungleichbehandlung
Für den VPOD ist klar: Kaufkraftverlust bedeutet Lohnsenkung. Im Nahverkehr wie andernorts setzen wir uns selbstverständlich für die Sicherung der Grundversorgung ein. Gleichzeitig sollen wir den Gürtel immer enger schnallen?

So geht das nicht.
Mit dem Ziel, den Kaufkraftverlust zu mildern, ist der VPOD auch in Bern in die jährlichen Lohnverhandlungen gestiegen. Ganz im Sinne der Sozialpartnerschaft. Nach den ersten Verhandlungsrunden mit den Nahverkehrsbetrieben im Kanton mussten die Verhandlungsdelegationen allerdings feststellen, dass der als Besteller des Nahverkehrs auftretende Regierungsrat eine andere Auffassung von Sozialpartnerschaft hat.

In einem Schreiben bezüglich Bestellverfahren an die Nahverkehrsbetriebe hat er eine Grenze gezogen: Offerten, die einen budgetierten Lohnsummenanstieg von mehr als 1,2 Prozent aufweisen, würden zurückgewiesen, heisst es darin. VPOD-Regionalsekretär Michel Berger findet das inakzeptabel: «Damit untergräbt der Regierungsrat die verfassungsmässig garantierte Sozialpartnerschaft. Die Gewerkschaften und die Betriebe müssen sich auf Augenhöhe begegnen können.»

Durch den vom Besteller gesetzten Rahmen werde eine echte Sozialpartnerschaft verunmöglicht. Zudem gewährt der Besteller, also der Kanton Bern, seinen «eigenen» Leuten bessere Bedingungen: Das Staatspersonal erhält 2 Prozent mehr Lohn. Das ist zwar nicht ausreichend, um den Kaufkraftverlust aufzufangen. Es ist jedoch mehr, als dem Fahrpersonal zugestanden wird. Diese Un-gleichbehandlung ist stossend.


Ziviler Ungehorsam – und mehr?
Nach harten Verhandlungen setzten sich einige Nahverkehrsbetriebe über die strengen Vorgaben des Kantons hinweg. Auch wenn dabei der Kaufkraftverlust des betroffenen Personals nicht vollständig aufgefangen wird, ist das erfreulich. Andere Betriebe halten sich an die Vorgaben, mit spürbaren finanziellen Folgen für die Angestellten.

Der VPOD wehrt sich gegen das Vorgehen des Bestellerkantons. Solche Eingriffe in die Sozialpartnerschaft dürfen künftig nicht mehr erfolgen. Unserer Initiative haben sich die weiteren im Nah- und Regionalverkehr tätigen Gewerkschaften SEV und Syndicom angeschlossen. In einem ersten Schritt klopften die Gewerkschaften direkt beim zuständigen Regierungsrat an und konfrontierten ihn mit der Thematik. Die Antwort war – wie beinahe zu erwarten – dürftig. Deshalb haben sich die Gewerkschaften nun mit einem neuen Schreiben an den Gesamtregierungsrat gewandt. Dessen Reaktion ist ausstehend.

Das gewerkschaftlich organisierte Personal der betroffenen Betriebe lässt nicht locker. Weitere Schritte wie Protestaktionen sind bereits angedacht. Der Regierungsrat des Kantons Bern muss sich ohne Kleingedrucktes zu einer Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe bekennen. Der VPOD fordert die klare Zusicherung, dass derartige Querschüsse in Zukunft nicht mehr vorkommen.