Energiewende: Das Personal spielt bei der Transformation die matchentscheidende Rolle

Von: Christoph Schlatter

15 Empfehlungen hat der Schweizerische Nationalfonds aus seinem Energiewendeprogramm abgeleitet. Das VPOD-Magazin hat sie mit Daniel Durrer, dem Präsidenten der VPOD-Energiekommission, durchgesehen.

Daniel Durrer ist Leiter technische Dienste bei der IWB Basel und Präsident der VPOD-Verbandskommission Energie

VPOD-Magazin: Die Forscherinnen und Forscher sagen, es brauche ein Bundeskonzept zur Transformation des Energiesystems. So wie ich das verstehe, geht es dabei um die Koordination aller Bestrebungen hin zu einem nachhaltigeren System auf den verschiedenen Ebenen. Damit die Sache etwas beschleunigt wird.

Daniel Durrer: Die Schweiz und Basel haben in ihrer Energiestrategie das Ziel formuliert, im Jahr 2050 CO2-neutral zu sein. Im Moment wird in Basel in diesem Zusammenhang die Fernwärme stark gepusht: weg von
den fossilen Energien zur nachhaltigen Fernwärme – ein grosses Projekt für die nächsten Jahre. So wie die EU mit dem Green Deal, den Ursula von der Leyen präsentiert hat, einiges vorhat. Egal wie man es nennen will: Man wird für diesen Umbau eine Art Marshall- Plan brauchen, Investitionen und Zielsetzungen formulieren müssen – und wohl auch die eine oder andere Einschränkung. Das finden dann natürlich nicht alle spannend.

VPOD-Magazin: Je nachdem nicht nur die, die den Klimawandel leugnen. Sondern auch jene, die durchaus grün und ökologisch sind – solange das geplante Windrad nicht gerade ihnen in der Aussicht steht.

Daniel Durrer: Ich denke nicht, dass die Windkraft in unseremLand ein grösseres Potenzial besitzt.
Dem geplanten IWB-Windpark auf der Challhöchi in den Gemeinden Burg, Kleinlützel und Röschenz steht ein Teil der Bevölkerung skeptisch gegenüber. Der Verein Wind-Still argumentiert, dass so tiefgreifende Veränderungen im Landschaftsbild schon eine sehr gewichtige Begründung bräuchten. Das bisschen
Strom, das da produziert werden könne, rechtfertige das sicher nicht. Anders sieht es sicher in Ländern wie Frankreich oder Deutschland aus, die nicht ganz so dicht besiedelt sind wie die Schweiz.

VPOD-Magazin: Das Beispiel Wind zeigt doch auch: Kein Energieträger ist völlig unproblematisch.
Beim Windrad sind die Rotorblätter in der Entsorgung schwierig. Tierschützerinnen beklagen tote Vögel.

Daniel Durrer: Auch Unterhalt und Instandhaltung sind nicht ohne. Die IWB hält Beteiligungen an
Windkraftanlagen in Deutschland und Frankreich. Immer wieder kommt von dort wenig bis gar kein Strom, obwohl vor Ort Wind weht. Warum? Offenbar wird dann die Anlage gerade gewartet... Dazu kommen Lärmimmissionen und die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, von der wir schon sprachen.
Ich sehe daher eher die Förderung der Sonnen- und den Ausbau der Wasserkraft als sinnvoll an.

VPOD-Magazin: Ich habe den Wind eigentlich auch nur als Beispiel eingebracht, um die Tücken
von Infrastrukturprojekten darzustellen. Tücken, wie sie sich zumal in Demokratien stellen, wo besorgte Wutbürger alle möglichen Rechtsmittel ergreifen können.

Daniel Durrer: Im Gegensatz zu dem, was Kollege Walter Steinmann, langjähriger Direktor des Bundesamts
für Energie, von seinen China-Reisen erzählt hat. Er berichtete, wie schnell in China ein Wasserkraftwerk errichtet werden kann. Ohne grosses Verfahren, ohne grössere Einsprachen. Bei uns dagegen wird selbst ein
Netzausbau zur Herausforderung. Zum Beispiel die Swissgrid-Leitung Chippis im Wallis: Die Erhöhung der Spannung dort dauert schnell einmal zehn oder zwölf Jahre. Philippe Meuli, Leiter Bewilligungsverfahren bei
Swissgrid, schätzt, dass sich solche Projekte in der heutigen Realität bis zu 30 Jahre in die
Länge ziehen können. Was kein Plädoyer für chinesische Verhältnisse sein soll!

VPOD - Magazin: Jetzt haben wir uns ziemlich lange bei der ersten Empfehlung aufgehalten. Die
nächste : Das Verhältnis der Schweiz zur EU im Interesse der Versorgungssicherheit im Strombereich rasch klären.

Daniel Durrer: Das ist knifflig. Für eine Diskussion über das Stromabkommen sind wir sicher offen.
Allerdings ist das Abkommen faktisch gekoppelt an den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens. Und an die vollständige Marktöffnung. Dort liegt der Hund begraben.Damit wir hier zu einer Lösung kommen, müssen wahrscheinlich alle Beteiligten einen ziemlichen Spagat machen.

VPOD-Magazin: VPOD-Energiesekretär Claudio Marrari versucht diesen auf Seite 15 dieses Hefts. Man muss aber sagen, dass der VPOD ja mit ökologischen Argumenten gegen die vollständige Marktöffnung kämpft.

Daniel Durrer: Zum einen: Auf der Stromrechnung sind die eigentlichen Energiekosten der geringste
Teil. Viel stärker ins Gewicht fallen die Netzkosten, also die Kosten für die Infrastruktur. Wenn die Stromkosten geringfügig sinken, bringt das dem Einzelhaushalt wenig.

VPOD-Magazin: Auch führt die Marktlogik zu einer Mengenausweitung, die nicht gewünscht ist.

Daniel Durrer: Wir wollen keinen Markt, wo es keinen Markt gibt. Die Stromversorgung ist eine klassische
Service-public-Aufgabe. Die Marktmechanismen spielen hier nicht.

VPOD-Magazin: Bei Liberalisierung und Privatisierung leidet auch die Infrastruktur.

Daniel Durrer: Das haben wir in Grossbritannien zur Genüge studieren können. Seit Margaret Thatcher
alles privatisiert hat, was sie in die Finger bekam, sind viele Infrastrukturen total verlottert,
nicht nur im Energiebereich. Der Grund: Es fehlt an Investitionssicherheit. Heute können die Elektrizitätswerke – unter anderem dank gebundenen Kunden – auch grössere Investitionen längerfristig planen. Im offenen
Markt müssen sie damit rechnen, dass ein Teil der Kundschaft wechselt. Um die Kunden zu halten, muss viel Geld in Werbung und Marketing gesteckt werden. Dieses Geld ist im Unterhalt bestehender oder im Bau
neuer Anlagen viel besser investiert.

VPOD-Magazin: Die nächsten zwei Empfehlungen können wir zusammennehmen: Mit gezielter
Regulierung Energieeffizienz fördern und den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen
. Und: Den Ausbau der erneuerbaren Energien mit einer umfassenden CO2-Lenkungsabgabe unterstützen.

Daniel Durrer: Da haben wir keine Differenz. Es braucht Regulierung, weil Freiwilligkeit allein nicht ausreicht.
Und es braucht Anreize. Basel-Stadt war der erste Kanton mit einer rückverteilenden Lenkungsabgabe beim Strom.

VPOD-Magazin: Allenfalls ist die Frage, wie sozial solche Mechanismen ausgestaltet sind. Im Zweifel können die Reichen immer noch Dreck rauslassen; sie vermögen es ja. Dann wird das Fliegen wieder sein wie 1960 – eine Sache der Oberschicht.

Daniel Durrer: Wir sind uns einig, dass Flugreisen heute viel zu billig sind. Vor 40 Jahren kostete ein Überseeflug mehrere Monatslöhne. Heute gibt’s den Schnäppchenflug nach Rom oder Barcelona für 29 Franken. Womit wir wieder bei der enormen Mengenausweitung sind, die durch die Liberalisierung zu entstehen pflegt – auch im Luftverkehr.

VPOD-Magazin: Als nächstes geht’s um die Wasserkraft: Sie soll auf ihre stabilisierende Funktion
im Energiesystem fokussiert werden.
Das scheint eine eher vorsichtige Formulierung zu sein; man will sich eher auf Effizienz als auf weiteren Ausbau konzentrieren.

Daniel Durrer: Wasserkraft funktioniert als Batterie der Schweiz. Dank der Pumpspeicherwerke
haben wir auch dann Strom, wenn andere Ressourcen nicht verfügbar sind. Also zum Beispiel nachts. Oder im Winter. In den Monaten Januar und Februar sind wir immer etwas knapp dran. Um die Frequenz von 50
Hertz in unserem Netz halten zu können, sind wir auf die Wasserkraft angewiesen. Ein weiterer grösserer Ausbau der Wasserkraft wäre eine riesige Herausforderung. Es geht also darum, das Bestehende zu optimieren. Wobei auch das nicht reibungslos abgeht. Die Absicht, die Staumauer beim Kraftwerk Oberhasli
zu erhöhen, generiert Einsprachen aus Naturschutzkreisen.

VPOD-Magazin: Einmal mehr: Es gibt keine Zauberlösung. Aber lügt man sich nicht auch in die Tasche, wenn man die eigenen AKW abschaltet und dann Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Deutschland einkauft?

Daniel Durrer: Der VPOD hat schon früh Position gegen die Atomenergie ergriffen, schon 1979 nach
dem ersten Beinahe-GAU von Harrisburg. Es brauchte dann noch ein Tschernobyl und ein Fukushima, bis der Atomausstieg bei Doris Leuthard und Angela Merkel ankam. Wir müssen die Sache möglichst gescheit anpacken, aber es kann trotzdem sein, dass wir für den Übergang zwischenzeitlich ein Gaskombikraftwerk
brauchen. Wie der Abbau eines AKWs vonstatten geht, können wir in den nächsten Jahren in Mühleberg beobachten.

VPOD-Magazin: Ich entnehme deinen Worten, dass es nicht so einfach sein wird, die 40 Prozent
Atomstrom zu ersetzen, ohne neuerlich auf fossile Energien auszuweichen.

Daniel Durrer: Neue Geräte, lenkende Zähler: Ein grosser Teil der Verbesserung wird über sogenannte
Smart Grids gelingen, intelligente Netze, die mit den Playern kommunizieren und eine optimale Nutzung gewährleisten. Das wird sich auch auf die Tarife auswirken: Der günstigste Strom wird nicht mehr, wie heute,
nachts anfallen, sondern nachmittags, wenn die Sonne scheint. Dann lade ich mein E- Bike und lasse die Wäsche durchlaufen. Das alles sind kleine Schritte auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft. Zusammengefasst: Energie sparen!

VPOD-Magazin: Haben wir zu den Wasserzinsen eine Meinung? Sie sollen nach Ertrag ausgerichtet werden.

Daniel Durrer: Die VPOD-Energiekommission hat auch das schon thematisiert. Aus dem Berggebiet hören
wir heftigen Protest, wenn die Zinsen gesenkt werden sollen. Einzelne Gemeinden, die Millionen aus dieser Quelle einnehmen, könnten dann wohl schliessen. Eine moderate, verträgliche Senkung der Zinsen scheint
mir dennoch richtig.

VPOD-Magazin: Optimale Bedinungen schaffen für Finanzierungsmodelle, an denen sich die Bevölkerung beteiligen kann, heisst es weiter. Sollen die Leute bei Kleinstkraftwerken mitmachen?

Daniel Durrer: Der Gedanke ist wohl, dass die Akzeptanz steigt, wenn die Menschen persönlich in ein
Energieprojekt eingebunden sind. Dagegen ist wenig einzuwenden, aber ich male mir nicht aus, dass das Wasserrad am Bächlein durchs Quartier die grosse Wende schafft. Die Bevölkerung sollte sich vielmehr durch
ihre offizielle Repräsentanz beteiligen – als Gemeinde, als Kanton. Dort spielt die Musik.

VPOD-Magazin: Steht genau im nächsten Punkt: Städte und Gemeinden dazu motivieren, ihren
Handlungsspielraum im Energiebereich verstärkt aktiv wahrzunehmen.
Das ist buchstäblich Wasser auf unsere Mühle.

Daniel Durrer: Es gibt Kantone – ich nenne Zürich und Basel –, die sich bereits heute stark in Richtung
Nachhaltigkeit bewegen. Auch einige der grossen Städte sind gut unterwegs. Andernorts gibt es noch Luft nach oben. Auch die Energiedirektorenkonferenz könnte mit einem Leitbild steuern.

VPOD-Magazin: Eine CO2-freie urbane Logistik sollte bis 2050 realisiert sein. Okay, oder?

Daniel Durrer: Unbestritten. Ich denke da auch an Projektewie das einer unterirdischen Rohrpost. Eine
gute Sache, wenn es sich realisieren lässt.

VPOD-Magazin: Den nächsten Punkt verstehe ich nicht genau: Dezentrale Multi-Energie-System realisieren. Was ist das?

Daniel Durrer: Hier kann man beispielsweise an Wärmeverbünde denken, zu denen sich Liegenschaften
oder Wohnbaugenossenschaften zusammenschliessen. Der Vorteil solcher Lösungen ist, dass sie lokal sind; es entfallen die langen Wege, die etwa die Windkraft von der Nordsee zu uns zurücklegen muss. Es ist sicher richtig, möglichst viel Energie so nahe als möglich zu produzieren, nachhaltig, versteht sich.

VPOD-Magazin: Gibt es eine VPOD-Doktrin zur Restwassermenge? Diese müsse an die ökologischen Bedürfnisse angepasst werden, heisst es im Papier. Dahinter verbirgt sich ein Konflikt, oder?

Daniel Durrer: Wir entkommen den Widersprüchen nicht, egal auf welche Energie wir setzen. Haben
wir beim Wind von den Vögeln gesprochen,so geht es jetzt um die Fische. Zu ihren Gunsten ist vieles geschehen; es werden Treppen gebaut, so dass die Fische an den Turbinen vorbeikommen. Solche Elemente benötigen Investitionen. Aber es muss es uns wert sein.

VPOD-Magazin: Nächster Punkt: Die Bevölkerung von Beginn an aktiv an der Planung von Infrastrukturprojekten beteiligen.

Daniel Durrer:Ich glaube, das hatten wir schon.

VPOD-Magazin: Also weiter: Mit flexiblen und dynamischen Stromtarifen, Belohnungszielen und Information Anreize schaffen.

Daniel Durrer: Das heisst: Die Leute dahin bekommen, den Strom dann zu brauchen, wenn er da ist. Und
dann zu sparen, wenn wenig vorhanden ist. Und natürlich überhaupt: weniger Strom brauchen. Wie weit man das lenken kann? Ich habe bereits erwähnt, dass Basel-Stadt diesbezüglich eine Pionierrolle gespielt hat.
Jede Privatperson bekommt durch die Stromlenkungsabgabe jährlich mehr als 60 Franken zurückerstattet. Allen Unkenrufen zum Trotz erzielt die Massnahme die gewünschte Wirkung: Während der Strom- und Energieverbrauch in der ganzen Schweiz langsam, aber stetig ansteigt, geht der Trend bei uns in
die andere Richtung.

VPOD-Magazin: Wissen vermitteln, und zwar zielgruppengerecht und neutral.

Daniel Durrer: Da sind wir zwei ja gerade dran, oder?

VPOD-Magazin: Auch der letzte Punkt scheint uns zu betreffen: Die Verbände stärker in die Verantwortung nehmen.

Daniel Durrer: Für den VPOD kann ich in Anspruch nehmen, dass wir das wahrnehmen. Wir äussern
uns zur Strommarktöffnung, zur Öffnung im Gassektor, wir nehmen an Vernehmlassungen teil, wir bilden uns laufend weiter und informieren uns und andere. Und notfalls, wenn wir nicht einverstanden sind, ergreifen
wir das Referendum. So geschehen 2001, wo wir das Elektrizitätsmarktgesetz zu Fall gebracht haben. Ich glaube daran, dass wir diesen Umbau schaffen, dass wir die Energiestrategie umsetzen können und CO2-Neutralität bis 2050 erreichen. Eines darf man dabei aber nicht vergessen: Ohne gute, gut ausgebildete und gut motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Energieversorgung haben wir keine Chance. Hier sind die Leute mit dem Know-how, hier sind diejenigen, die vor Ort Überzeugungsarbeit leisten können. Das ist mein Credo als Gewerkschafter: Das Personal spielt bei der Transformation die matchentscheidende Rolle.

Das Interview ist im VPOD-Magazin von Februar 2020 erschienen. Das VPOD-Magazin ist mehr als eine Mitgliederzeitschrift. Es ist ein vielfältiges Magazin zu den Themen Arbeit, Politik und Service public.

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